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11.06.2024

5 Minuten Lesedauer

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Sommermärchen mit Schattenseiten

31 Tage Fanmeile. So lautet die unmittelbare Zukunft Berlins, denn vom 14. Juni bis zum 14. Juli 2024 richtet Deutschland die Fußball-Europameisterschaft der Männer aus – insbesondere auch Berlin. Ökonomisch, ökologisch und politisch fällt die Veranstaltung in angespannte Zeiten. Eine Suche nach dem Mehrwert.

„Don’t Panic“ steht auf dem Rücken der Warnweste eines gebräunten Mannes mit Tunnel-Piercings in den Ohrläppchen und zutätowierten Waden. Es ist der Morgen des 30. Mai, wir sind zwölf Tage vor der Eröffnungsfeier der Fan Zone Berlin auf Baustellenbesichtigung. Noch scheint die Sonne, aber sommerliche Schwüle kündigt an, dass sich etwas zusammenbraut. Der Aufbauhelfer raucht gerade eine Zigarette und sieht zu, wie ein Kranfahrzeug mit der Aufschrift „Herkules“ einen Stapel Bühnenequipment zwischen den säuberlich geordneten Materialstapeln auf dem unvermittelt neu erblühten Kunststoffrasen vor dem Brandenburger Tor rangiert. 

Bereits seit dem 6. Mai ist die Straße des 17. Juni hier bis zur Yitzhak-Rabin-Straße gesperrt. Auch der Platz der Republik vor dem Reichstagsgebäude soll mit Rahmenprogramm rund um das Großevent bespielt werden. Es ist das größte Public Viewing des Landes: eine 32 Quadratmeter große Leinwand, gespannt auf ein 21 Meter hohes und 63 Meter breites Fußballtor, direkt vor dem Symbol des geeinten Deutschlands. Laut rbb haben 30 000 Zuschauer maximal Zutritt auf die 24 000 Quadratmeter Kunstrasen, die sich über die sonst viel befahrene Straße erstrecken. Bei Bedarf kann bis auf eine Kapazität von bis zu 100.000 erweitert werden. Läuft man über die riesige, geradezu idyllisch daliegende Grünfläche, fällt es schwer sich vorzustellen, dass hier in zwei Wochen alles voller Menschen sein wird, die in Nationalfarben und Trikots jubeln, mitfiebern, trinken und essen.

Der Regen setzt ein, während die Pressesprecherin des Veranstalters der Fanmeile Kulturprojekte Berlin gerade routiniert über das Partnernetz und die verschiedenen Veranstaltungskategorien des Fußballkultursommers erzählt. Ein kurzer Blick nach oben, dann spricht sie unbeirrt weiter. „Don’t Panic” scheint hier in allen Gewerken das Motto zu sein.

Ob alle deutschen SteuerzahlerInnen Ruhe bewahren, wenn man die EM aus einer ökonomischen Perspektive beleuchtet, ist eine andere Frage. Auf 250 Millionen Euro werden die Mehreinnahmen durch den EM-Tourismus durch das Leibniz-Institut für Wirtschaftsforschung Halle (IWH) geschätzt. Allein die Stadt Berlin zahlt circa 80 Millionen Euro, 650 Millionen kostet es den Bund insgesamt, die EM auszurichten. Zum Vergleich: Um 600 Millionen Euro kürzt die Bundesregierung ab 2024 die jährlichen Zuschüsse bei der gesetzlichen Rentenversicherung wegen des für verfassungswidrig erklärten Sondervermögens.

Maßgeblich an der Entstehung dieser Kosten beteiligt: die nicht öffentlich zugänglichen Turnierrichtlinien der UEFA auf 233 Seiten, die jedes Gastgeberland verbindlich zu erfüllen hat. Details hierzu sind nicht öffentlich, laut ZDF gehen einige davon jedoch „richtig ins Geld“. Apropos: Die UEFA selbst erwartet laut eigenen Angaben Einnahmen von 2,4 Milliarden Euro – und zwar steuerfrei. Und auch die offiziellen Sponsoren der Veranstaltung wie Coca-Cola und der Geflügelfleischproduzent Wiesenhof werden zu den Profiteuren mit zweifelhaften Rufs der Veranstaltung zählen.

Mitten auf dem Feld stehen Ampeln, die, so aus dem Straßenverkehrskontext gerissen, wie eine falsch platzierte Requisite aus einem anderen Stück wirken. Gepflegt, üppig und unwirklich erstreckt sich das künstliche Grün vor dem Brandenburger und dem Leinwand-Tor. Streicht man mit der Hand darüber, lösen sich einzelne Kunststoffhalme.

„Das nachhaltigste Fanfest aller Zeiten” soll es werden, so steht es offiziell im ESG Strategiepapier (ESG: Environmental Social Governance; dt.: Umwelt, Soziales und Unternehmensführung), das die UEFA auf ihrer Website veröffentlicht. 80 % des Equipments sind laut Veranstalter geliehen. Der Kunststoffrasen soll nach dem Event weiter verschenkt werden, darauf können sich Bolzplatz-Betreiber jetzt schon bewerben. Öffentlich zugänglich und vorzugsweise durch soziale Einrichtungen genutzt: so lauten die Anforderungen bei der Vergabe. Das gilt natürlich nur für den Rasen, der am Ende noch brauchbar ist. Die Stücke, die ihre Niederlage nicht verkraften, sollen recycelt werden. 

Auch von hinten und vor bewölktem Himmel ragt die Quadriga mit der Siegesgöttin Viktoria noch majestätisch auf dem Brandenburger Tor empor, als es ums Sicherheitskonzept des Megaevents geht. Alle Mitwirkenden haben eine Awareness-Schulung bekommen, also eine Einweisung, wie mit Zwischenfällen von Gewalt und diskriminierendem Verhalten umzugehen ist. Noch wenige Tage zuvor diskutierte ganz Deutschland über das virale Video mit rechtsextremen Gesängen Sylter Partygäste. Gigi d’Agostino ist daher sicherheitshalber von der Playlist verbannt. Euphorischer Patriotismus im Antlitz des Brandenburger Tors, Sinnbild von Trennung und Einigkeit, aber auch in dem des Schriftzugs „dem deutschen Volke“ vor dem Reichstagsgebäude. Während die AfD gerade eine imposante Siegesserie hinlegt, wird über problematische Symbolik auch hier am Ende wohl der Videobeweis entscheiden.

„Die EM ist eine Angelegenheit von allgemeinem Interesse und nationaler Bedeutung.” So Thomas de Maizière 2018, als die EM das erste Mal seit der Wiedervereinigung wieder an „uns” ging. Aber wer sind eigentlich wir?

32 % von über 17.000 Befragten geben in einer Umfrage von YouGov und Statista an, dass sie die EM „auf gar keinen Fall” verfolgen werden. 14 % gucken sie „eher nicht”. 22 % verfolgen die Spiele „auf jeden Fall”, 24 % der Befragten antworteten mit „eher ja”. Würde man die Tendenzen hier gegenüberstellen, ergäbe das ein klares Unentschieden. 

Auf der Website der Bundesregierung findet sich ein Beitrag mit dem Titel: „Elf Gründe, sich auf die Fußball-Europameisterschaft zu freuen.” Von „Gemeinschafts-Endorphinen” und „einem Heimspiel für den europäischen Geist in jedem Stadion“ ist die Rede. „Weil Deutschland automatisch qualifiziert ist“ lautet ein weiterer Grund. 

Und jene, die sich das Sommermärchen 2.0. nicht mit grimmscher Finsternis erzählen wollen? Da sind die Erwartungen groß, die Vorfreude auch: auf einen Sieg, auf Wir-Gefühl und zwei Wochen euphorischen Ausnahmezustand. Aufregung ja. Aber bitte: keine Panik. 

31 Tage Fanmeile. So lautet die unmittelbare Zukunft Berlins, denn vom 14. Juni bis zum 14. Juli 2024 richtet Deutschland die Fußball-Europameisterschaft der Männer aus – insbesondere auch Berlin. Ökonomisch, ökologisch und politisch fällt die Veranstaltung in angespannte Zeiten. Eine Suche nach dem Mehrwert.

„Don’t Panic“ steht auf dem Rücken der Warnweste eines gebräunten Mannes mit Tunnel-Piercings in den Ohrläppchen und zutätowierten Waden. Es ist der Morgen des 30. Mai, wir sind zwölf Tage vor der Eröffnungsfeier der Fan Zone Berlin auf Baustellenbesichtigung. Noch scheint die Sonne, aber sommerliche Schwüle kündigt an, dass sich etwas zusammenbraut. Der Aufbauhelfer raucht gerade eine Zigarette und sieht zu, wie ein Kranfahrzeug mit der Aufschrift „Herkules“ einen Stapel Bühnenequipment zwischen den säuberlich geordneten Materialstapeln auf dem unvermittelt neu erblühten Kunststoffrasen vor dem Brandenburger Tor rangiert. 

Bereits seit dem 6. Mai ist die Straße des 17. Juni hier bis zur Yitzhak-Rabin-Straße gesperrt. Auch der Platz der Republik vor dem Reichstagsgebäude soll mit Rahmenprogramm rund um das Großevent bespielt werden. Es ist das größte Public Viewing des Landes: eine 32 Quadratmeter große Leinwand, gespannt auf ein 21 Meter hohes und 63 Meter breites Fußballtor, direkt vor dem Symbol des geeinten Deutschlands. Laut rbb haben 30 000 Zuschauer maximal Zutritt auf die 24 000 Quadratmeter Kunstrasen, die sich über die sonst viel befahrene Straße erstrecken. Bei Bedarf kann bis auf eine Kapazität von bis zu 100.000 erweitert werden. Läuft man über die riesige, geradezu idyllisch daliegende Grünfläche, fällt es schwer sich vorzustellen, dass hier in zwei Wochen alles voller Menschen sein wird, die in Nationalfarben und Trikots jubeln, mitfiebern, trinken und essen.

Der Regen setzt ein, während die Pressesprecherin des Veranstalters der Fanmeile Kulturprojekte Berlin gerade routiniert über das Partnernetz und die verschiedenen Veranstaltungskategorien des Fußballkultursommers erzählt. Ein kurzer Blick nach oben, dann spricht sie unbeirrt weiter. „Don’t Panic” scheint hier in allen Gewerken das Motto zu sein.

Ob alle deutschen SteuerzahlerInnen Ruhe bewahren, wenn man die EM aus einer ökonomischen Perspektive beleuchtet, ist eine andere Frage. Auf 250 Millionen Euro werden die Mehreinnahmen durch den EM-Tourismus durch das Leibniz-Institut für Wirtschaftsforschung Halle (IWH) geschätzt. Allein die Stadt Berlin zahlt circa 80 Millionen Euro, 650 Millionen kostet es den Bund insgesamt, die EM auszurichten. Zum Vergleich: Um 600 Millionen Euro kürzt die Bundesregierung ab 2024 die jährlichen Zuschüsse bei der gesetzlichen Rentenversicherung wegen des für verfassungswidrig erklärten Sondervermögens.

Maßgeblich an der Entstehung dieser Kosten beteiligt: die nicht öffentlich zugänglichen Turnierrichtlinien der UEFA auf 233 Seiten, die jedes Gastgeberland verbindlich zu erfüllen hat. Details hierzu sind nicht öffentlich, laut ZDF gehen einige davon jedoch „richtig ins Geld“. Apropos: Die UEFA selbst erwartet laut eigenen Angaben Einnahmen von 2,4 Milliarden Euro – und zwar steuerfrei. Und auch die offiziellen Sponsoren der Veranstaltung wie Coca-Cola und der Geflügelfleischproduzent Wiesenhof werden zu den Profiteuren mit zweifelhaften Rufs der Veranstaltung zählen.

Mitten auf dem Feld stehen Ampeln, die, so aus dem Straßenverkehrskontext gerissen, wie eine falsch platzierte Requisite aus einem anderen Stück wirken. Gepflegt, üppig und unwirklich erstreckt sich das künstliche Grün vor dem Brandenburger und dem Leinwand-Tor. Streicht man mit der Hand darüber, lösen sich einzelne Kunststoffhalme.

„Das nachhaltigste Fanfest aller Zeiten” soll es werden, so steht es offiziell im ESG Strategiepapier (ESG: Environmental Social Governance; dt.: Umwelt, Soziales und Unternehmensführung), das die UEFA auf ihrer Website veröffentlicht. 80 % des Equipments sind laut Veranstalter geliehen. Der Kunststoffrasen soll nach dem Event weiter verschenkt werden, darauf können sich Bolzplatz-Betreiber jetzt schon bewerben. Öffentlich zugänglich und vorzugsweise durch soziale Einrichtungen genutzt: so lauten die Anforderungen bei der Vergabe. Das gilt natürlich nur für den Rasen, der am Ende noch brauchbar ist. Die Stücke, die ihre Niederlage nicht verkraften, sollen recycelt werden. 

Auch von hinten und vor bewölktem Himmel ragt die Quadriga mit der Siegesgöttin Viktoria noch majestätisch auf dem Brandenburger Tor empor, als es ums Sicherheitskonzept des Megaevents geht. Alle Mitwirkenden haben eine Awareness-Schulung bekommen, also eine Einweisung, wie mit Zwischenfällen von Gewalt und diskriminierendem Verhalten umzugehen ist. Noch wenige Tage zuvor diskutierte ganz Deutschland über das virale Video mit rechtsextremen Gesängen Sylter Partygäste. Gigi d’Agostino ist daher sicherheitshalber von der Playlist verbannt. Euphorischer Patriotismus im Antlitz des Brandenburger Tors, Sinnbild von Trennung und Einigkeit, aber auch in dem des Schriftzugs „dem deutschen Volke“ vor dem Reichstagsgebäude. Während die AfD gerade eine imposante Siegesserie hinlegt, wird über problematische Symbolik auch hier am Ende wohl der Videobeweis entscheiden.

„Die EM ist eine Angelegenheit von allgemeinem Interesse und nationaler Bedeutung.” So Thomas de Maizière 2018, als die EM das erste Mal seit der Wiedervereinigung wieder an „uns” ging. Aber wer sind eigentlich wir?

32 % von über 17.000 Befragten geben in einer Umfrage von YouGov und Statista an, dass sie die EM „auf gar keinen Fall” verfolgen werden. 14 % gucken sie „eher nicht”. 22 % verfolgen die Spiele „auf jeden Fall”, 24 % der Befragten antworteten mit „eher ja”. Würde man die Tendenzen hier gegenüberstellen, ergäbe das ein klares Unentschieden. 

Auf der Website der Bundesregierung findet sich ein Beitrag mit dem Titel: „Elf Gründe, sich auf die Fußball-Europameisterschaft zu freuen.” Von „Gemeinschafts-Endorphinen” und „einem Heimspiel für den europäischen Geist in jedem Stadion“ ist die Rede. „Weil Deutschland automatisch qualifiziert ist“ lautet ein weiterer Grund. 

Und jene, die sich das Sommermärchen 2.0. nicht mit grimmscher Finsternis erzählen wollen? Da sind die Erwartungen groß, die Vorfreude auch: auf einen Sieg, auf Wir-Gefühl und zwei Wochen euphorischen Ausnahmezustand. Aufregung ja. Aber bitte: keine Panik. 

31 Tage Fanmeile. So lautet die unmittelbare Zukunft Berlins, denn vom 14. Juni bis zum 14. Juli 2024 richtet Deutschland die Fußball-Europameisterschaft der Männer aus – insbesondere auch Berlin. Ökonomisch, ökologisch und politisch fällt die Veranstaltung in angespannte Zeiten. Eine Suche nach dem Mehrwert.

„Don’t Panic“ steht auf dem Rücken der Warnweste eines gebräunten Mannes mit Tunnel-Piercings in den Ohrläppchen und zutätowierten Waden. Es ist der Morgen des 30. Mai, wir sind zwölf Tage vor der Eröffnungsfeier der Fan Zone Berlin auf Baustellenbesichtigung. Noch scheint die Sonne, aber sommerliche Schwüle kündigt an, dass sich etwas zusammenbraut. Der Aufbauhelfer raucht gerade eine Zigarette und sieht zu, wie ein Kranfahrzeug mit der Aufschrift „Herkules“ einen Stapel Bühnenequipment zwischen den säuberlich geordneten Materialstapeln auf dem unvermittelt neu erblühten Kunststoffrasen vor dem Brandenburger Tor rangiert. 

Bereits seit dem 6. Mai ist die Straße des 17. Juni hier bis zur Yitzhak-Rabin-Straße gesperrt. Auch der Platz der Republik vor dem Reichstagsgebäude soll mit Rahmenprogramm rund um das Großevent bespielt werden. Es ist das größte Public Viewing des Landes: eine 32 Quadratmeter große Leinwand, gespannt auf ein 21 Meter hohes und 63 Meter breites Fußballtor, direkt vor dem Symbol des geeinten Deutschlands. Laut rbb haben 30 000 Zuschauer maximal Zutritt auf die 24 000 Quadratmeter Kunstrasen, die sich über die sonst viel befahrene Straße erstrecken. Bei Bedarf kann bis auf eine Kapazität von bis zu 100.000 erweitert werden. Läuft man über die riesige, geradezu idyllisch daliegende Grünfläche, fällt es schwer sich vorzustellen, dass hier in zwei Wochen alles voller Menschen sein wird, die in Nationalfarben und Trikots jubeln, mitfiebern, trinken und essen.

Der Regen setzt ein, während die Pressesprecherin des Veranstalters der Fanmeile Kulturprojekte Berlin gerade routiniert über das Partnernetz und die verschiedenen Veranstaltungskategorien des Fußballkultursommers erzählt. Ein kurzer Blick nach oben, dann spricht sie unbeirrt weiter. „Don’t Panic” scheint hier in allen Gewerken das Motto zu sein.

Ob alle deutschen SteuerzahlerInnen Ruhe bewahren, wenn man die EM aus einer ökonomischen Perspektive beleuchtet, ist eine andere Frage. Auf 250 Millionen Euro werden die Mehreinnahmen durch den EM-Tourismus durch das Leibniz-Institut für Wirtschaftsforschung Halle (IWH) geschätzt. Allein die Stadt Berlin zahlt circa 80 Millionen Euro, 650 Millionen kostet es den Bund insgesamt, die EM auszurichten. Zum Vergleich: Um 600 Millionen Euro kürzt die Bundesregierung ab 2024 die jährlichen Zuschüsse bei der gesetzlichen Rentenversicherung wegen des für verfassungswidrig erklärten Sondervermögens.

Maßgeblich an der Entstehung dieser Kosten beteiligt: die nicht öffentlich zugänglichen Turnierrichtlinien der UEFA auf 233 Seiten, die jedes Gastgeberland verbindlich zu erfüllen hat. Details hierzu sind nicht öffentlich, laut ZDF gehen einige davon jedoch „richtig ins Geld“. Apropos: Die UEFA selbst erwartet laut eigenen Angaben Einnahmen von 2,4 Milliarden Euro – und zwar steuerfrei. Und auch die offiziellen Sponsoren der Veranstaltung wie Coca-Cola und der Geflügelfleischproduzent Wiesenhof werden zu den Profiteuren mit zweifelhaften Rufs der Veranstaltung zählen.

Mitten auf dem Feld stehen Ampeln, die, so aus dem Straßenverkehrskontext gerissen, wie eine falsch platzierte Requisite aus einem anderen Stück wirken. Gepflegt, üppig und unwirklich erstreckt sich das künstliche Grün vor dem Brandenburger und dem Leinwand-Tor. Streicht man mit der Hand darüber, lösen sich einzelne Kunststoffhalme.

„Das nachhaltigste Fanfest aller Zeiten” soll es werden, so steht es offiziell im ESG Strategiepapier (ESG: Environmental Social Governance; dt.: Umwelt, Soziales und Unternehmensführung), das die UEFA auf ihrer Website veröffentlicht. 80 % des Equipments sind laut Veranstalter geliehen. Der Kunststoffrasen soll nach dem Event weiter verschenkt werden, darauf können sich Bolzplatz-Betreiber jetzt schon bewerben. Öffentlich zugänglich und vorzugsweise durch soziale Einrichtungen genutzt: so lauten die Anforderungen bei der Vergabe. Das gilt natürlich nur für den Rasen, der am Ende noch brauchbar ist. Die Stücke, die ihre Niederlage nicht verkraften, sollen recycelt werden. 

Auch von hinten und vor bewölktem Himmel ragt die Quadriga mit der Siegesgöttin Viktoria noch majestätisch auf dem Brandenburger Tor empor, als es ums Sicherheitskonzept des Megaevents geht. Alle Mitwirkenden haben eine Awareness-Schulung bekommen, also eine Einweisung, wie mit Zwischenfällen von Gewalt und diskriminierendem Verhalten umzugehen ist. Noch wenige Tage zuvor diskutierte ganz Deutschland über das virale Video mit rechtsextremen Gesängen Sylter Partygäste. Gigi d’Agostino ist daher sicherheitshalber von der Playlist verbannt. Euphorischer Patriotismus im Antlitz des Brandenburger Tors, Sinnbild von Trennung und Einigkeit, aber auch in dem des Schriftzugs „dem deutschen Volke“ vor dem Reichstagsgebäude. Während die AfD gerade eine imposante Siegesserie hinlegt, wird über problematische Symbolik auch hier am Ende wohl der Videobeweis entscheiden.

„Die EM ist eine Angelegenheit von allgemeinem Interesse und nationaler Bedeutung.” So Thomas de Maizière 2018, als die EM das erste Mal seit der Wiedervereinigung wieder an „uns” ging. Aber wer sind eigentlich wir?

32 % von über 17.000 Befragten geben in einer Umfrage von YouGov und Statista an, dass sie die EM „auf gar keinen Fall” verfolgen werden. 14 % gucken sie „eher nicht”. 22 % verfolgen die Spiele „auf jeden Fall”, 24 % der Befragten antworteten mit „eher ja”. Würde man die Tendenzen hier gegenüberstellen, ergäbe das ein klares Unentschieden. 

Auf der Website der Bundesregierung findet sich ein Beitrag mit dem Titel: „Elf Gründe, sich auf die Fußball-Europameisterschaft zu freuen.” Von „Gemeinschafts-Endorphinen” und „einem Heimspiel für den europäischen Geist in jedem Stadion“ ist die Rede. „Weil Deutschland automatisch qualifiziert ist“ lautet ein weiterer Grund. 

Und jene, die sich das Sommermärchen 2.0. nicht mit grimmscher Finsternis erzählen wollen? Da sind die Erwartungen groß, die Vorfreude auch: auf einen Sieg, auf Wir-Gefühl und zwei Wochen euphorischen Ausnahmezustand. Aufregung ja. Aber bitte: keine Panik. 

Melanie Wildt / Freie Texterin und Autorin
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