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03.04.2024

Lesedauer 5 min.

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Hustle Culture, Stutenbissigkeit und die Hürden der Frauensolidarität

I nothing about you schild und herz
I nothing about you schild und herz
I nothing about you schild und herz

Produktivität und Stutenbissigkeit und die Hürden der Frauensolidarität

Heute ist ein schrecklicher Tag, denn eigentlich ist alles gut. Ich stehe nach ausreichend Schlaf auf, habe einen netten Kundentermin und bereite mir eine Mahlzeit zu, die ein ausgewogenes Verhältnis an Makronährstoffen aufweist. Ich tippe, telefoniere, höre Musik und hole schließlich meine Klamotten aus der Änderungsschneiderei ab. So lame, so good.

Dann: 15.30 Uhr. Die schlimmste Uhrzeit des Tages, denn man sollte schon etwas geschafft haben (check) – man sollte aber auf jeden Fall auch noch etwas zu tun haben. Aber ich weiß nicht, was ich machen soll, denn heute kann alles, und muss nichts mehr. Und Zack, ist die Stimmung im Keller.

Hallo? Man hat doch immer irgendetwas zu tun. Alle anderen sind doch gerade Hundert Pro super produktiv, entwickeln ne App für unsterblichen Küchenbasilikum oder promovieren neben dem Studium. Selbst ich, die sich nicht einmal um einen Wellensittich, geschweige denn um irgendwelche anderen Schutzbefohlenen kümmern muss, könnte ja noch was leisten.

Ich könnte schreiben, irgendwas posten, ein krasses Insanity Workout hinlegen, den Couchtisch mit Epoxidharz in einen Meilenstein der DIY-Geschichte verwandeln; ich könnte mich auch an die Landstraße stellen und Frösche auf die andere Straßenseite tragen in der Hoffnung, dabei auch noch die Liebe meines Lebens kennenlernen. Ob Froschkönig oder irgendein Ulf, mir – wie alles heute – allerdings ziemlich gleichgültig. 

Ich könnte das alles und kann davon nichts, denn es gibt ganz viel für mich zu tun, aber ob ich es tue oder nicht, hindert die Welt sehr wahrscheinlich nicht daran, morgen die Gleiche zu sein wie heute – wozu also? Und so schleift mein ungespannter Geist eine hohle, mit Belanglosigkeit prall gefüllte Kugelkette aus Polyethylen hinter sich her, während er in seiner Gefängniszelle im Kreis läuft. Die Tür ist nicht abgeschlossen – auf geht sie heute trotzdem nicht.

Immerhin produziere ich innerlich immense Stückzahlen an toxisch positiven Gedanken, um mir selbst einzubläuen, dass gar nicht so unproduktive Tage, die sich aber ganz besonders unproduktiv anfühlen, nicht meine Schuld, sondern ein chronisches Symptom der Leistungsgesellschaft sind. Ich versuche mich selbst zu überzeugen, dass dieser Tag im Ranking der unproduktivsten Tage meines Lebens vermutlich gar nicht so weit oben rankt. Ich habe ja immerhin schon eine Hose angezogen, mit Menschen über Arbeit geredet und Brokkoli gegessen. Prima. Ich schäme mich für dieses Konglomerat an Naja-Momenten und First-World-Problems, wovon sich mein Drive leider auch nicht erhöht.

Zum Glück gibt es Bildschirme, die man sich an solchen mentalen Horizontalnieselregentagen vor den eigenen Anblick spannen kann. 

Auf ARTE ist es 5 vor Weltfrauentag. Die Doku über Menstruation hab ich schon gesehen, die über Endometriose und die über Feminismus in der Pornoindustrie stehen noch aus. Die über frauenfeindlichen und rechtspopulistischen Maskulinismus ist jetzt fällig – so wie dieser selbst.

Immerhin, die Kugelkette rattert danach schon ein bisschen energischer über meinen geistigen Knastboden. Eigentlich nur als Digestif schaue ich noch einen kurzen, kritischen Beitrag über das Essverhalten von Frauen. Doch wie so oft war auch dieser letzte Schnaps schlecht – denn als ich gerade dachte, ich hätte meine nachmittägliche Weltschmerzlethargie überwunden, wird es so richtig hässlich.

Im Interview spricht eine für meine Begriffe bildschöne Frau in meinem Alter. Ich sehe, dass sie einen sehr eleganten Kleidungsstil hat, sehr warm und sympathisch lächelt und ich höre, dass sie sehr eloquent ist. Ich gebe ihren Namen bei Google ein und sehe, dass sie Journalistin ist, für große etablierte Publikationen schreibt und in Paris lebt. Sie hat ein Buch über das Essverhalten von Frauen geschrieben, denn sie hatte selbst mal eine Essstörung. Und weil es ihr heute gut geht und sie schlau und reflektiert ist, hat sie sich mit den Gründen für dieses weit verbreitete Problem beschäftigt. Im Interview sagt sie, der eigentliche Grund, warum so viele Frauen ein ungesundes und gestörtes Verhältnis zum Essen haben, ist in erster Instanz nicht die Modeindustrie oder Instagram, sondern die systematische Unterdrückung der weiblichen Lust. 

Ich finde das alles total schlau, interessant, einleuchtend und relatable, denn ein gesundes Verhältnis habe auch ich weder zu meinem Körper noch zu meinem Essen – aber während ich das alles denke, zeigt sich: auch nicht zu anderen Frauen. 

Denn anstelle von Dankbarkeit macht sich bei mir etas ganz anderes breit: Ich bin neidisch. Nicht nur, dass die Frau erfolgreich, wortgewandt und auch noch sympathisch ist. Sie sieht dazu noch blenden aus und hat keine Essstörung mehr. Pfui, ich weiß. Ich habe diese ekelhaften Gedanken und Gefühle und blicke mich dafür selbst mit hochgezogenen Augenbrauen von der Seite an. Wohl doch keine Feministin, Sisterhood my ass.

Weibliches Konkurrenzverhalten trägt den klangvoll degradierenden Namen Stutenbissigkeit. Allein der Begriff Stute klingt ziemlich nach Viehschau. Ein bissiges Pferd verkörpert zudem den sehr herabwürdigenden Widerspruch zwischen eleganter Erhabenheit und unbeholfen lächerlichem Angriffsverhalten mittels einer unansehnlichen Dentalregion. 

Konkurrenz und Neid unter Frauen ist ein spezielles Phänomen, denn auch Leistungsdruck im Kapitalismus ist genderspezifisch. Frauen müssen sich zwischen Kind, Karriere und Kind und Karriere entscheiden. (Drei Optionen, die die vierte – nämlich einfach keine davon wahrzunehmen – komplett außen vor lassen. Aber das nur am Rande). Wenn Frauen dann Karriere machen (oder einfach bezahlte Arbeit verrichten), dann müssen sie sich männlich dominierten Strukturen, Teilzeit, Care-Arbeit, Sexismus und Vorurteilen stellen.

Ganz besonders im Jobkontext ist es dadurch für Frauen oft effizienter, der Konkurrenz Stöcker in die Speichen zu schmeißen, als zu versuchen, insgesamt unter allen Teilnehmenden den ersten Platz zu machen – denn das ist aus besagen Gründen sehr erschwert. Oder anders gesagt: Die beste Frau zu sein ist leichter, als die Beste zu sein. Oder: Wenn du die gläserne Decke schon nicht durchbrechen kannst, dann sollte sie wenigstens die am streifenfrei sauberste von allen sein. 

Die kulturelle Wand, die sich besonders Frauen auf vielen Ebenen noch immer in den Weg stellt, ist also ein dankbarer Sammelpunkt zur Konkurrenzanalyse. Wenn es schon nicht weiter nach vorne geht, dann guckt man eben schneller mal zur Seite. 

Das mögen alles korrekte Feststellungen und anschauliche Vergleiche sein, aber wie lösen wir das Problem? Ich sage jetzt einmal wir, denn an diesem sich mir auftuenden Abgrund sind mit Sicherheit schon einige andere widerspenstig wiehernd in die Hufeisen gegangen. Und ich glaube, es ist ein schlechtes, neues, toxisches Tabu, wenn man nicht zugeben darf, dass es als Frau auch intrinsisch schwer sein kann, solidarisch mit anderen Frauen zu sein. 

Mein Neid auf diese andere Frau – die ja wirklich keine Schuld trifft, dass ich sie so toll finde – und den ich daher verzweifelt versuche zu zügeln, ist mehr, als einfach nur eine profane Todsünde. 

Er ist zunächst einmal, wie alle Todsünden, ziemlich normal und menschlich (Insbesondere an einem solchen Tag, an dem ich mich selbst gern in der Pfeife rauchen würde). Ich beneide ja alle Menschen, die sagen, sie seien nie neidisch. Aber Frauen, die sagen, sie seien auf andere Frauen ganz besonders neidlos, eben weil sie das ganze Konzept feministischer Solidarität schon so krass internalisiert haben, da werde ich wirklich gelb vor Neid – und ein bisschen skeptisch. 

Dieser Neid ist mir zudem total peinlich, denn er widerspricht meiner Gleichberechtigungsdoktrin und kratzt an meiner Feministinnen Credibility. 

Er ist auch Beweis dafür, dass der Kampf gegen das Patriarchat keinesfalls nur einer gegen MaskulinistInnen oder scheinbar unbeteiligte Männer ist, die das für sie runnende System nicht changen wollen. 

Vielmehr ist es eine intensive Auseinandersetzung mit der eigenen Weltanschauung, mit dem sehr unmodernen Konzept von Zufriedenheit sowie der Erwartungshaltung an das eigene Leben.

Ein wilder Ritt also. Und keiner, den man an einem Tag zurücklegt. Und erst recht nicht heute. Kommt aber morgen wieder auf die To Do Liste:

  • Sanity Workout

  • Basilikum kaufen

  • Stute zähmen


Produktivität und Stutenbissigkeit und die Hürden der Frauensolidarität

Heute ist ein schrecklicher Tag, denn eigentlich ist alles gut. Ich stehe nach ausreichend Schlaf auf, habe einen netten Kundentermin und bereite mir eine Mahlzeit zu, die ein ausgewogenes Verhältnis an Makronährstoffen aufweist. Ich tippe, telefoniere, höre Musik und hole schließlich meine Klamotten aus der Änderungsschneiderei ab. So lame, so good.

Dann: 15.30 Uhr. Die schlimmste Uhrzeit des Tages, denn man sollte schon etwas geschafft haben (check) – man sollte aber auf jeden Fall auch noch etwas zu tun haben. Aber ich weiß nicht, was ich machen soll, denn heute kann alles, und muss nichts mehr. Und Zack, ist die Stimmung im Keller.

Hallo? Man hat doch immer irgendetwas zu tun. Alle anderen sind doch gerade Hundert Pro super produktiv, entwickeln ne App für unsterblichen Küchenbasilikum oder promovieren neben dem Studium. Selbst ich, die sich nicht einmal um einen Wellensittich, geschweige denn um irgendwelche anderen Schutzbefohlenen kümmern muss, könnte ja noch was leisten.

Ich könnte schreiben, irgendwas posten, ein krasses Insanity Workout hinlegen, den Couchtisch mit Epoxidharz in einen Meilenstein der DIY-Geschichte verwandeln; ich könnte mich auch an die Landstraße stellen und Frösche auf die andere Straßenseite tragen in der Hoffnung, dabei auch noch die Liebe meines Lebens kennenlernen. Ob Froschkönig oder irgendein Ulf, mir – wie alles heute – allerdings ziemlich gleichgültig. 

Ich könnte das alles und kann davon nichts, denn es gibt ganz viel für mich zu tun, aber ob ich es tue oder nicht, hindert die Welt sehr wahrscheinlich nicht daran, morgen die Gleiche zu sein wie heute – wozu also? Und so schleift mein ungespannter Geist eine hohle, mit Belanglosigkeit prall gefüllte Kugelkette aus Polyethylen hinter sich her, während er in seiner Gefängniszelle im Kreis läuft. Die Tür ist nicht abgeschlossen – auf geht sie heute trotzdem nicht.

Immerhin produziere ich innerlich immense Stückzahlen an toxisch positiven Gedanken, um mir selbst einzubläuen, dass gar nicht so unproduktive Tage, die sich aber ganz besonders unproduktiv anfühlen, nicht meine Schuld, sondern ein chronisches Symptom der Leistungsgesellschaft sind. Ich versuche mich selbst zu überzeugen, dass dieser Tag im Ranking der unproduktivsten Tage meines Lebens vermutlich gar nicht so weit oben rankt. Ich habe ja immerhin schon eine Hose angezogen, mit Menschen über Arbeit geredet und Brokkoli gegessen. Prima. Ich schäme mich für dieses Konglomerat an Naja-Momenten und First-World-Problems, wovon sich mein Drive leider auch nicht erhöht.

Zum Glück gibt es Bildschirme, die man sich an solchen mentalen Horizontalnieselregentagen vor den eigenen Anblick spannen kann. 

Auf ARTE ist es 5 vor Weltfrauentag. Die Doku über Menstruation hab ich schon gesehen, die über Endometriose und die über Feminismus in der Pornoindustrie stehen noch aus. Die über frauenfeindlichen und rechtspopulistischen Maskulinismus ist jetzt fällig – so wie dieser selbst.

Immerhin, die Kugelkette rattert danach schon ein bisschen energischer über meinen geistigen Knastboden. Eigentlich nur als Digestif schaue ich noch einen kurzen, kritischen Beitrag über das Essverhalten von Frauen. Doch wie so oft war auch dieser letzte Schnaps schlecht – denn als ich gerade dachte, ich hätte meine nachmittägliche Weltschmerzlethargie überwunden, wird es so richtig hässlich.

Im Interview spricht eine für meine Begriffe bildschöne Frau in meinem Alter. Ich sehe, dass sie einen sehr eleganten Kleidungsstil hat, sehr warm und sympathisch lächelt und ich höre, dass sie sehr eloquent ist. Ich gebe ihren Namen bei Google ein und sehe, dass sie Journalistin ist, für große etablierte Publikationen schreibt und in Paris lebt. Sie hat ein Buch über das Essverhalten von Frauen geschrieben, denn sie hatte selbst mal eine Essstörung. Und weil es ihr heute gut geht und sie schlau und reflektiert ist, hat sie sich mit den Gründen für dieses weit verbreitete Problem beschäftigt. Im Interview sagt sie, der eigentliche Grund, warum so viele Frauen ein ungesundes und gestörtes Verhältnis zum Essen haben, ist in erster Instanz nicht die Modeindustrie oder Instagram, sondern die systematische Unterdrückung der weiblichen Lust. 

Ich finde das alles total schlau, interessant, einleuchtend und relatable, denn ein gesundes Verhältnis habe auch ich weder zu meinem Körper noch zu meinem Essen – aber während ich das alles denke, zeigt sich: auch nicht zu anderen Frauen. 

Denn anstelle von Dankbarkeit macht sich bei mir etas ganz anderes breit: Ich bin neidisch. Nicht nur, dass die Frau erfolgreich, wortgewandt und auch noch sympathisch ist. Sie sieht dazu noch blenden aus und hat keine Essstörung mehr. Pfui, ich weiß. Ich habe diese ekelhaften Gedanken und Gefühle und blicke mich dafür selbst mit hochgezogenen Augenbrauen von der Seite an. Wohl doch keine Feministin, Sisterhood my ass.

Weibliches Konkurrenzverhalten trägt den klangvoll degradierenden Namen Stutenbissigkeit. Allein der Begriff Stute klingt ziemlich nach Viehschau. Ein bissiges Pferd verkörpert zudem den sehr herabwürdigenden Widerspruch zwischen eleganter Erhabenheit und unbeholfen lächerlichem Angriffsverhalten mittels einer unansehnlichen Dentalregion. 

Konkurrenz und Neid unter Frauen ist ein spezielles Phänomen, denn auch Leistungsdruck im Kapitalismus ist genderspezifisch. Frauen müssen sich zwischen Kind, Karriere und Kind und Karriere entscheiden. (Drei Optionen, die die vierte – nämlich einfach keine davon wahrzunehmen – komplett außen vor lassen. Aber das nur am Rande). Wenn Frauen dann Karriere machen (oder einfach bezahlte Arbeit verrichten), dann müssen sie sich männlich dominierten Strukturen, Teilzeit, Care-Arbeit, Sexismus und Vorurteilen stellen.

Ganz besonders im Jobkontext ist es dadurch für Frauen oft effizienter, der Konkurrenz Stöcker in die Speichen zu schmeißen, als zu versuchen, insgesamt unter allen Teilnehmenden den ersten Platz zu machen – denn das ist aus besagen Gründen sehr erschwert. Oder anders gesagt: Die beste Frau zu sein ist leichter, als die Beste zu sein. Oder: Wenn du die gläserne Decke schon nicht durchbrechen kannst, dann sollte sie wenigstens die am streifenfrei sauberste von allen sein. 

Die kulturelle Wand, die sich besonders Frauen auf vielen Ebenen noch immer in den Weg stellt, ist also ein dankbarer Sammelpunkt zur Konkurrenzanalyse. Wenn es schon nicht weiter nach vorne geht, dann guckt man eben schneller mal zur Seite. 

Das mögen alles korrekte Feststellungen und anschauliche Vergleiche sein, aber wie lösen wir das Problem? Ich sage jetzt einmal wir, denn an diesem sich mir auftuenden Abgrund sind mit Sicherheit schon einige andere widerspenstig wiehernd in die Hufeisen gegangen. Und ich glaube, es ist ein schlechtes, neues, toxisches Tabu, wenn man nicht zugeben darf, dass es als Frau auch intrinsisch schwer sein kann, solidarisch mit anderen Frauen zu sein. 

Mein Neid auf diese andere Frau – die ja wirklich keine Schuld trifft, dass ich sie so toll finde – und den ich daher verzweifelt versuche zu zügeln, ist mehr, als einfach nur eine profane Todsünde. 

Er ist zunächst einmal, wie alle Todsünden, ziemlich normal und menschlich (Insbesondere an einem solchen Tag, an dem ich mich selbst gern in der Pfeife rauchen würde). Ich beneide ja alle Menschen, die sagen, sie seien nie neidisch. Aber Frauen, die sagen, sie seien auf andere Frauen ganz besonders neidlos, eben weil sie das ganze Konzept feministischer Solidarität schon so krass internalisiert haben, da werde ich wirklich gelb vor Neid – und ein bisschen skeptisch. 

Dieser Neid ist mir zudem total peinlich, denn er widerspricht meiner Gleichberechtigungsdoktrin und kratzt an meiner Feministinnen Credibility. 

Er ist auch Beweis dafür, dass der Kampf gegen das Patriarchat keinesfalls nur einer gegen MaskulinistInnen oder scheinbar unbeteiligte Männer ist, die das für sie runnende System nicht changen wollen. 

Vielmehr ist es eine intensive Auseinandersetzung mit der eigenen Weltanschauung, mit dem sehr unmodernen Konzept von Zufriedenheit sowie der Erwartungshaltung an das eigene Leben.

Ein wilder Ritt also. Und keiner, den man an einem Tag zurücklegt. Und erst recht nicht heute. Kommt aber morgen wieder auf die To Do Liste:

  • Sanity Workout

  • Basilikum kaufen

  • Stute zähmen


Produktivität und Stutenbissigkeit und die Hürden der Frauensolidarität

Heute ist ein schrecklicher Tag, denn eigentlich ist alles gut. Ich stehe nach ausreichend Schlaf auf, habe einen netten Kundentermin und bereite mir eine Mahlzeit zu, die ein ausgewogenes Verhältnis an Makronährstoffen aufweist. Ich tippe, telefoniere, höre Musik und hole schließlich meine Klamotten aus der Änderungsschneiderei ab. So lame, so good.

Dann: 15.30 Uhr. Die schlimmste Uhrzeit des Tages, denn man sollte schon etwas geschafft haben (check) – man sollte aber auf jeden Fall auch noch etwas zu tun haben. Aber ich weiß nicht, was ich machen soll, denn heute kann alles, und muss nichts mehr. Und Zack, ist die Stimmung im Keller.

Hallo? Man hat doch immer irgendetwas zu tun. Alle anderen sind doch gerade Hundert Pro super produktiv, entwickeln ne App für unsterblichen Küchenbasilikum oder promovieren neben dem Studium. Selbst ich, die sich nicht einmal um einen Wellensittich, geschweige denn um irgendwelche anderen Schutzbefohlenen kümmern muss, könnte ja noch was leisten.

Ich könnte schreiben, irgendwas posten, ein krasses Insanity Workout hinlegen, den Couchtisch mit Epoxidharz in einen Meilenstein der DIY-Geschichte verwandeln; ich könnte mich auch an die Landstraße stellen und Frösche auf die andere Straßenseite tragen in der Hoffnung, dabei auch noch die Liebe meines Lebens kennenlernen. Ob Froschkönig oder irgendein Ulf, mir – wie alles heute – allerdings ziemlich gleichgültig. 

Ich könnte das alles und kann davon nichts, denn es gibt ganz viel für mich zu tun, aber ob ich es tue oder nicht, hindert die Welt sehr wahrscheinlich nicht daran, morgen die Gleiche zu sein wie heute – wozu also? Und so schleift mein ungespannter Geist eine hohle, mit Belanglosigkeit prall gefüllte Kugelkette aus Polyethylen hinter sich her, während er in seiner Gefängniszelle im Kreis läuft. Die Tür ist nicht abgeschlossen – auf geht sie heute trotzdem nicht.

Immerhin produziere ich innerlich immense Stückzahlen an toxisch positiven Gedanken, um mir selbst einzubläuen, dass gar nicht so unproduktive Tage, die sich aber ganz besonders unproduktiv anfühlen, nicht meine Schuld, sondern ein chronisches Symptom der Leistungsgesellschaft sind. Ich versuche mich selbst zu überzeugen, dass dieser Tag im Ranking der unproduktivsten Tage meines Lebens vermutlich gar nicht so weit oben rankt. Ich habe ja immerhin schon eine Hose angezogen, mit Menschen über Arbeit geredet und Brokkoli gegessen. Prima. Ich schäme mich für dieses Konglomerat an Naja-Momenten und First-World-Problems, wovon sich mein Drive leider auch nicht erhöht.

Zum Glück gibt es Bildschirme, die man sich an solchen mentalen Horizontalnieselregentagen vor den eigenen Anblick spannen kann. 

Auf ARTE ist es 5 vor Weltfrauentag. Die Doku über Menstruation hab ich schon gesehen, die über Endometriose und die über Feminismus in der Pornoindustrie stehen noch aus. Die über frauenfeindlichen und rechtspopulistischen Maskulinismus ist jetzt fällig – so wie dieser selbst.

Immerhin, die Kugelkette rattert danach schon ein bisschen energischer über meinen geistigen Knastboden. Eigentlich nur als Digestif schaue ich noch einen kurzen, kritischen Beitrag über das Essverhalten von Frauen. Doch wie so oft war auch dieser letzte Schnaps schlecht – denn als ich gerade dachte, ich hätte meine nachmittägliche Weltschmerzlethargie überwunden, wird es so richtig hässlich.

Im Interview spricht eine für meine Begriffe bildschöne Frau in meinem Alter. Ich sehe, dass sie einen sehr eleganten Kleidungsstil hat, sehr warm und sympathisch lächelt und ich höre, dass sie sehr eloquent ist. Ich gebe ihren Namen bei Google ein und sehe, dass sie Journalistin ist, für große etablierte Publikationen schreibt und in Paris lebt. Sie hat ein Buch über das Essverhalten von Frauen geschrieben, denn sie hatte selbst mal eine Essstörung. Und weil es ihr heute gut geht und sie schlau und reflektiert ist, hat sie sich mit den Gründen für dieses weit verbreitete Problem beschäftigt. Im Interview sagt sie, der eigentliche Grund, warum so viele Frauen ein ungesundes und gestörtes Verhältnis zum Essen haben, ist in erster Instanz nicht die Modeindustrie oder Instagram, sondern die systematische Unterdrückung der weiblichen Lust. 

Ich finde das alles total schlau, interessant, einleuchtend und relatable, denn ein gesundes Verhältnis habe auch ich weder zu meinem Körper noch zu meinem Essen – aber während ich das alles denke, zeigt sich: auch nicht zu anderen Frauen. 

Denn anstelle von Dankbarkeit macht sich bei mir etas ganz anderes breit: Ich bin neidisch. Nicht nur, dass die Frau erfolgreich, wortgewandt und auch noch sympathisch ist. Sie sieht dazu noch blenden aus und hat keine Essstörung mehr. Pfui, ich weiß. Ich habe diese ekelhaften Gedanken und Gefühle und blicke mich dafür selbst mit hochgezogenen Augenbrauen von der Seite an. Wohl doch keine Feministin, Sisterhood my ass.

Weibliches Konkurrenzverhalten trägt den klangvoll degradierenden Namen Stutenbissigkeit. Allein der Begriff Stute klingt ziemlich nach Viehschau. Ein bissiges Pferd verkörpert zudem den sehr herabwürdigenden Widerspruch zwischen eleganter Erhabenheit und unbeholfen lächerlichem Angriffsverhalten mittels einer unansehnlichen Dentalregion. 

Konkurrenz und Neid unter Frauen ist ein spezielles Phänomen, denn auch Leistungsdruck im Kapitalismus ist genderspezifisch. Frauen müssen sich zwischen Kind, Karriere und Kind und Karriere entscheiden. (Drei Optionen, die die vierte – nämlich einfach keine davon wahrzunehmen – komplett außen vor lassen. Aber das nur am Rande). Wenn Frauen dann Karriere machen (oder einfach bezahlte Arbeit verrichten), dann müssen sie sich männlich dominierten Strukturen, Teilzeit, Care-Arbeit, Sexismus und Vorurteilen stellen.

Ganz besonders im Jobkontext ist es dadurch für Frauen oft effizienter, der Konkurrenz Stöcker in die Speichen zu schmeißen, als zu versuchen, insgesamt unter allen Teilnehmenden den ersten Platz zu machen – denn das ist aus besagen Gründen sehr erschwert. Oder anders gesagt: Die beste Frau zu sein ist leichter, als die Beste zu sein. Oder: Wenn du die gläserne Decke schon nicht durchbrechen kannst, dann sollte sie wenigstens die am streifenfrei sauberste von allen sein. 

Die kulturelle Wand, die sich besonders Frauen auf vielen Ebenen noch immer in den Weg stellt, ist also ein dankbarer Sammelpunkt zur Konkurrenzanalyse. Wenn es schon nicht weiter nach vorne geht, dann guckt man eben schneller mal zur Seite. 

Das mögen alles korrekte Feststellungen und anschauliche Vergleiche sein, aber wie lösen wir das Problem? Ich sage jetzt einmal wir, denn an diesem sich mir auftuenden Abgrund sind mit Sicherheit schon einige andere widerspenstig wiehernd in die Hufeisen gegangen. Und ich glaube, es ist ein schlechtes, neues, toxisches Tabu, wenn man nicht zugeben darf, dass es als Frau auch intrinsisch schwer sein kann, solidarisch mit anderen Frauen zu sein. 

Mein Neid auf diese andere Frau – die ja wirklich keine Schuld trifft, dass ich sie so toll finde – und den ich daher verzweifelt versuche zu zügeln, ist mehr, als einfach nur eine profane Todsünde. 

Er ist zunächst einmal, wie alle Todsünden, ziemlich normal und menschlich (Insbesondere an einem solchen Tag, an dem ich mich selbst gern in der Pfeife rauchen würde). Ich beneide ja alle Menschen, die sagen, sie seien nie neidisch. Aber Frauen, die sagen, sie seien auf andere Frauen ganz besonders neidlos, eben weil sie das ganze Konzept feministischer Solidarität schon so krass internalisiert haben, da werde ich wirklich gelb vor Neid – und ein bisschen skeptisch. 

Dieser Neid ist mir zudem total peinlich, denn er widerspricht meiner Gleichberechtigungsdoktrin und kratzt an meiner Feministinnen Credibility. 

Er ist auch Beweis dafür, dass der Kampf gegen das Patriarchat keinesfalls nur einer gegen MaskulinistInnen oder scheinbar unbeteiligte Männer ist, die das für sie runnende System nicht changen wollen. 

Vielmehr ist es eine intensive Auseinandersetzung mit der eigenen Weltanschauung, mit dem sehr unmodernen Konzept von Zufriedenheit sowie der Erwartungshaltung an das eigene Leben.

Ein wilder Ritt also. Und keiner, den man an einem Tag zurücklegt. Und erst recht nicht heute. Kommt aber morgen wieder auf die To Do Liste:

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Melanie Wildt / Freie Texterin und Autorin
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