17.04.2024
Lesedauer 5 min
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Sensitivity Reading: Diskriminierungssensible Sprache in der öffentlichen Kommunikation
Diskriminierungssensibilität in der Sprache. Wie das schon klingt. Ich kann innerlich die vielen verdrehten Augen, sich wegdrehenden Barhocker und aufgedrehten Buh-Rufe geradezu spüren. Wenn ich jetzt noch Gendern sage, dann fliegen vermutlich die ersten Datentomaten. Mancherorts zumindest. Ja mei. Aufdringlich, elitär, konstruiert, unnatürlich: Nur ein paar Adjektive, die für viele das Problem beschreiben. Aber Moment, was ist das eigentlich genau: das Problem? Ist es eins? Sind es viele? Was macht das Thema eigentlich so hitzig – und welchen positiven Beitrag kann Werbung leisten? Ideen und Gedanken einer Texterin.
Hab ich da “neumodischer Scheiß” gehört? Na, wennschon, dennschon. Deswegen hier die Definition von “diskriminierungssensible Sprache” nach ChatGPT:
Diskriminierungssensible Sprache bezieht sich auf die Verwendung von Wörtern, Ausdrücken und Formulierungen, die darauf abzielen, niemanden aufgrund von Merkmalen wie Geschlecht, Alter, ethnischer Zugehörigkeit, sexueller Orientierung, Religion, Behinderung oder sozialem Status zu diskriminieren oder zu beleidigen. Es geht darum, Sprache bewusst zu wählen, um die Vielfalt und Würde aller Menschen zu respektieren und keine Vorurteile oder Stereotypen zu verstärken. Das Ziel ist es, eine inklusive und respektvolle Kommunikation zu fördern.
Gut. So weit, so klar. Ich glaube, würde man mit einem dieser fusseligen Windmikrofone durch deutsche Einkaufsstraßen laufen und fragen:
Möchten Sie Menschen aufgrund von Merkmalen wie Geschlecht, Alter, ethnischer Zugehörigkeit, sexueller Orientierung, Religion, Behinderung oder sozialem Status diskriminieren oder beleidigen?
Dann würden die meisten mit Nein antworten. Von denen gehe ich aus, denn die, die Ja antworten würden, sind ein anderes Thema.
Was genau sind die Probleme?
Was genau sind dann also die Hürden? In meinen privaten sowie beruflichen Umfeld finden sich sowohl Menschen, die für sich selbst das Projekt angehen und ihre Sprache ändern, als auch solche, die damit wenig Berührungspunkte haben – und auch einige, die es offen ablehnen. Ein kleiner Überblick, was in meinen Augen in der Diskussion darüber gesagt wird – und worum es eigentlich geht.
Nr. 1 Gewohnheit
Viele Sprachgewohnheiten, also zum Beispiel das generische Maskulinum (99 Passantinnen +1 Passant = 100 Passanten) abwertende Diminutive (Verkleinerungsformen) wie Flüchtling – und natürlich “diverse” Rassismen und Sexismen, die ich nicht nennen werde – wurden uns in die Wiege gelegt. Wir, alle, die Bücher, die Politik, die Werbeplakate haben sie immer genutzt. Es war bzw. ist also eine kollektive Wahrheit und für viele nichts, was überhaupt in die Kategorie “kann infrage gestellt werden” fällt.
Es sind gewohnte, aber eben auch ziemlich alte Wahrheiten. Nehmen wir das Thema gendern. Wie wir ja alle wissen, ist die Ungleichberechtigung aller BürgerInnen aufgrund der Geschlechtsidentität eine gesellschaftliche Tradition, die erst in den letzten 100 Jahren wirklich starke Beliebtheitseinbußen machen musste. Sie ist, das dünkt mittlerweile sogar den Hardlinern, in unserer modernen, mobilen, fortschrittlichen Digitalgesellschaft nicht mehr zeitgemäß.
Das Argument:
“Ich bin total für Gleichberechtigung, aber deswegen muss ich doch jetzt nicht anfangen, komische Wörter zu benutzen und wie ein Lexikon zu reden.”
Worum es eigentlich geht: ungewohnt ≠ falsch
Geflüchtete statt Flüchtlinge, PassantInnen statt Passanten, Mensch mit Behinderung statt Behinderter – das klingt alles so … falsch. Es ist aber nicht falsch. Das sind keine schlechteren Begriffe, die beispielsweise phonetisch oder orthografisch den anderen in irgendwas nachstehen. Sie sind nicht einmal schwer auszusprechen. Sie sind schlicht und ergreifend: ungewohnt.
Nr. 2. Motivation
Gewohnheiten ändern: immer anstrengend. Dafür muss man nicht einmal besonders starrsinnig sein, sondern einfach nur versuchen, auf Kohlenhydrate zu verzichten. Aber anders als bei den Kohlenhydraten ist es bei der Aufforderung, die Sprachgewohnheiten zu ändern, etwas komplizierter. Denn, wozu?
Das Argument:
“Davon kriegen Frauen auch keine bessere Bezahlung und davon fällt auch nicht jedes Mal irgendwo auf der Welt einem Nazi wie durch Zauberhand die Baseballkeule auf den Fuß.”
Worum es eigentlich geht: scheinbare Unwirksamkeit
Individuelle Gewohnheiten hinterfragen, um auf eine gesamtgesellschaftliche Entwicklung zu reagieren, wirkt für viele unverhältnismäßig. Denn es kostet Kraft und bietet in der Regel erst einmal keinen unmittelbaren, sichtbaren Mehrwert. Da bleibt nur das gute alte Studienargument. Am eindrücklichsten finde ich die, in der kleine Mädchen erst dann angaben, Automechanikerin werden zu wollen, nachdem man ihnen den Beruf in gegenderter Form zur Auswahl gestellt hatte. Kann man selbst ausprobieren: 100 Automechaniker und 100 AutomechanikerInnen erzeugen unterschiedliche Bilder im Kopf – und damit auch unterschiedliche Abbilder der Gesellschaft.
Nr. 3 Verantwortung
Paradoxerweise fühlen sich einige Menschen durch diskriminierungssensible Sprache sogar selbst diskriminiert. Denn beispielsweise nicht zu gendern würde damit ja automatisch eine diskriminierende Haltung gegenüber Frauen und nichtbinären Personen unterstellen. Es würde also suggerieren, dass ein persönlicher Entschluss dahinter stünde.
Das Argument:
“Ich will doch niemandem was Böses. Sollen doch alle machen, was sie wollen.”
Worum es eigentlich geht: Schuld und Vorwürfe
Und genau darum geht es nicht. Individuelle Verantwortliche ausfindig machen zu wollen oder sich persönlich angeklagt zu fühlen, wird dem großen Ganzen nicht gerecht. Nicht einmal Donald Trump hat sich das Patriarchat ausgedacht, auch wenn er das vielleicht gerne hätte. Die Diskussion mit Vendetta-Gedanken zu führen ist also ebenso eine Sackgasse, wie sie als Provokation zur Selbstverteidigung zu sehen. Es geht darum, wie wir zukünftig für mehr Gerechtigkeit sorgen. Um das zu erreichen, müssen alle zusammen anpacken – auch die, die es eigentlich ganz bequem haben.
Das Argument:
“Eine Anpassung an neue gesellschaftliche Gesetzmäßigkeiten im Sinne der gesellschaftlichen Solidarität ist nicht zu viel verlangt – besonders nicht von denen auf der privilegierten Seite.”
Stimmt. In der Theorie. Nur ist es das in der Praxis eben leider häufig doch. Tja, und nun?
Ein guter Zweck für die Werbung?
Ich halte es für absolut kontraproduktiv, von Menschen einzufordern, ihren privaten Sprachgebrauch ad hoc derart strukturell zu restaurieren, wie es beispielsweise das Gendern erfordert. Wenn sie es nun einmal aus Unvermögen oder Unwillen oder anderen Gründen einfach nicht bereit sind zu tun, kann und sollte sie niemand zwingen.
Jeder Mensch, der seine Sprache gerade aktiv diskriminierungssensibel umgestaltet, leistet wichtige, politische Arbeit – und zwar freiwillig. Das einzige Gesetz, was für mich auf zwischenmenschlicher Ebene gilt, ist, dass die Entscheidung, wie sie auch ausfällt, respektiert wird. Man sollte diskutieren, Standpunkte teilen und darauf basierend für sich selbst entscheiden, ob man den Wandel unterstützen möchte.
Anders sehe ich die Chancen der öffentlichen Kommunikation und des Marketings. Denn hier ist es erst einmal viel niedrigschwelliger möglich, die Normalität von diskriminerungssensibler Sprache und die Gewöhnung daran zu fördern. Unternehmen, Institutionen (und natürlich die Politik) sind aufgrund ihrer Reichweite und ihrer Prozesse in viel verträglicherem und effizienterem Maße in der Lage, positiven Einfluss zu nehmen, indem sie gesellschaftsgerecht kommunizieren. Da muss niemand private Gewohnheiten ändern und trotzdem kann viel und können viele erreicht werden. Super, let's do it! Oder?
Werbung also ein Enabler für Sprache, die unsere diverse Gesellschaft endlich gerecht abbildet?
Klingt ja super, aber …
Es gibt keine einheitlichen Regeln
Meine Hoffnung auf eine bessere Zukunft in allen Ehren: Aber ganz so einfach ist es dann auch wieder nicht. Das Problem: Einheitliche Regeln existieren nicht. Und selbst, wenn der Werberat irgendwann ein Regelwerk erlassen würde. Was ist, wenn die Zielgruppe eines Unternehmens oder einer Stiftung sich gerade dadurch auszeichnet, dass sie an traditionellen Sprachkonzepten hängt und dann ein messbarer wirtschaftlicher Schaden entsteht? Oder wenn Texte und Konzepte an Qualität einbüßen, weil es eben doch noch zu ungewohnt und holprig klingt? Das gibt Terz.
Welche zu finden, ist schwer
Ich bin ehrlich: Wenn über einer Liste mit Medien KooperationspartnerInnen steht, verstehe ich das nicht. Da geht es nicht darum, die Gesellschaft im Sinne der Diversität ihrer Individuen abzubilden – sondern um Markenregistereinträge. Gendern nur in Bezug auf den grammatikalischen Artikel ergibt in meinen Augen keinen Sinn. Für manche dient es aber als Vehikel, gegenderte Begriffe an prominenten Stellen in der öffentlichen Wahrnehmung zu normalisieren. Gewöhnung vorantreiben. Fair enough.
Große Probleme und viele kleine Lösungen
Ich glaube, es gibt einen Dämpfer, mit dem man sich abfinden muss. Es wird bei der Umsetzung von Diskrimierungssensibilität immer sehr viel Ausnahmen geben, denn vieles bleibt persönliche Ermessenssache von EntscheidungsträgerInnen und es gibt einfach zu viele sprachliche Einzelfälle – erst recht auf Deutsch – über die man sich den Mund fusselig diskutieren kann.
Und wenn es um Geld geht, wird besagtes Ermessen mit Sicherheit auch immer eher flexibel gehandhabt werden. Begriffe wie Berufsbezeichnungen zu gendern ist da nicht das Problem. Webseiten barrierefrei umgestalten: Schon eher schwieriger, denn das kostet Geld. In der Werbung auf eine vielversprechende, aber nicht inklusive Headline und damit auf bessere Verkaufszahlen und damit auf noch mehr Geld verzichten: unwahrscheinlich.
Meine Mission: Positive Beispiele schaffen
Was lässt sich zusammenfassend sagen? Das Thema ist durchwachsen und der Weg hin zu irgendwelchen Allgemeingültigkeiten ist meiner Meinung nach noch ein sehr weiter. Öffentliche, diskriminierungssensible Kommunikation ist daher momentan – trotz großen, medialen Aufhebens – in der Praxis immer noch ein ziemliches Nischenbedürfnis. Manche trauen sich nicht, einige sind verwirrt und ein großer Teil wartet glaube ich noch ab, ob es sich nicht vielleicht doch einfach um eine Modeerscheinung handelt. Ist ok. Die Debatte hat erst vor ca. 10 Jahren den Mainstream erreicht.
Was man jetzt tun kann? Tief durchatmen würde einigen sicherlich guttun. Und wer nicht warten will: Ausprobieren und damit zeigen, wie es gehen kann – und positive Beispiele schaffen, an die man sich gewöhnen könnte.
Du interessierst Dich für sensitivity reading, diskriminierungssensible Texte oder Texte zu dem Thema für Deine Veröffentlichung? Dann schreib mir eine Mail an hallo@melaniewildt.de
Diskriminierungssensibilität in der Sprache. Wie das schon klingt. Ich kann innerlich die vielen verdrehten Augen, sich wegdrehenden Barhocker und aufgedrehten Buh-Rufe geradezu spüren. Wenn ich jetzt noch Gendern sage, dann fliegen vermutlich die ersten Datentomaten. Mancherorts zumindest. Ja mei. Aufdringlich, elitär, konstruiert, unnatürlich: Nur ein paar Adjektive, die für viele das Problem beschreiben. Aber Moment, was ist das eigentlich genau: das Problem? Ist es eins? Sind es viele? Was macht das Thema eigentlich so hitzig – und welchen positiven Beitrag kann Werbung leisten? Ideen und Gedanken einer Texterin.
Hab ich da “neumodischer Scheiß” gehört? Na, wennschon, dennschon. Deswegen hier die Definition von “diskriminierungssensible Sprache” nach ChatGPT:
Diskriminierungssensible Sprache bezieht sich auf die Verwendung von Wörtern, Ausdrücken und Formulierungen, die darauf abzielen, niemanden aufgrund von Merkmalen wie Geschlecht, Alter, ethnischer Zugehörigkeit, sexueller Orientierung, Religion, Behinderung oder sozialem Status zu diskriminieren oder zu beleidigen. Es geht darum, Sprache bewusst zu wählen, um die Vielfalt und Würde aller Menschen zu respektieren und keine Vorurteile oder Stereotypen zu verstärken. Das Ziel ist es, eine inklusive und respektvolle Kommunikation zu fördern.
Gut. So weit, so klar. Ich glaube, würde man mit einem dieser fusseligen Windmikrofone durch deutsche Einkaufsstraßen laufen und fragen:
Möchten Sie Menschen aufgrund von Merkmalen wie Geschlecht, Alter, ethnischer Zugehörigkeit, sexueller Orientierung, Religion, Behinderung oder sozialem Status diskriminieren oder beleidigen?
Dann würden die meisten mit Nein antworten. Von denen gehe ich aus, denn die, die Ja antworten würden, sind ein anderes Thema.
Was genau sind die Probleme?
Was genau sind dann also die Hürden? In meinen privaten sowie beruflichen Umfeld finden sich sowohl Menschen, die für sich selbst das Projekt angehen und ihre Sprache ändern, als auch solche, die damit wenig Berührungspunkte haben – und auch einige, die es offen ablehnen. Ein kleiner Überblick, was in meinen Augen in der Diskussion darüber gesagt wird – und worum es eigentlich geht.
Nr. 1 Gewohnheit
Viele Sprachgewohnheiten, also zum Beispiel das generische Maskulinum (99 Passantinnen +1 Passant = 100 Passanten) abwertende Diminutive (Verkleinerungsformen) wie Flüchtling – und natürlich “diverse” Rassismen und Sexismen, die ich nicht nennen werde – wurden uns in die Wiege gelegt. Wir, alle, die Bücher, die Politik, die Werbeplakate haben sie immer genutzt. Es war bzw. ist also eine kollektive Wahrheit und für viele nichts, was überhaupt in die Kategorie “kann infrage gestellt werden” fällt.
Es sind gewohnte, aber eben auch ziemlich alte Wahrheiten. Nehmen wir das Thema gendern. Wie wir ja alle wissen, ist die Ungleichberechtigung aller BürgerInnen aufgrund der Geschlechtsidentität eine gesellschaftliche Tradition, die erst in den letzten 100 Jahren wirklich starke Beliebtheitseinbußen machen musste. Sie ist, das dünkt mittlerweile sogar den Hardlinern, in unserer modernen, mobilen, fortschrittlichen Digitalgesellschaft nicht mehr zeitgemäß.
Das Argument:
“Ich bin total für Gleichberechtigung, aber deswegen muss ich doch jetzt nicht anfangen, komische Wörter zu benutzen und wie ein Lexikon zu reden.”
Worum es eigentlich geht: ungewohnt ≠ falsch
Geflüchtete statt Flüchtlinge, PassantInnen statt Passanten, Mensch mit Behinderung statt Behinderter – das klingt alles so … falsch. Es ist aber nicht falsch. Das sind keine schlechteren Begriffe, die beispielsweise phonetisch oder orthografisch den anderen in irgendwas nachstehen. Sie sind nicht einmal schwer auszusprechen. Sie sind schlicht und ergreifend: ungewohnt.
Nr. 2. Motivation
Gewohnheiten ändern: immer anstrengend. Dafür muss man nicht einmal besonders starrsinnig sein, sondern einfach nur versuchen, auf Kohlenhydrate zu verzichten. Aber anders als bei den Kohlenhydraten ist es bei der Aufforderung, die Sprachgewohnheiten zu ändern, etwas komplizierter. Denn, wozu?
Das Argument:
“Davon kriegen Frauen auch keine bessere Bezahlung und davon fällt auch nicht jedes Mal irgendwo auf der Welt einem Nazi wie durch Zauberhand die Baseballkeule auf den Fuß.”
Worum es eigentlich geht: scheinbare Unwirksamkeit
Individuelle Gewohnheiten hinterfragen, um auf eine gesamtgesellschaftliche Entwicklung zu reagieren, wirkt für viele unverhältnismäßig. Denn es kostet Kraft und bietet in der Regel erst einmal keinen unmittelbaren, sichtbaren Mehrwert. Da bleibt nur das gute alte Studienargument. Am eindrücklichsten finde ich die, in der kleine Mädchen erst dann angaben, Automechanikerin werden zu wollen, nachdem man ihnen den Beruf in gegenderter Form zur Auswahl gestellt hatte. Kann man selbst ausprobieren: 100 Automechaniker und 100 AutomechanikerInnen erzeugen unterschiedliche Bilder im Kopf – und damit auch unterschiedliche Abbilder der Gesellschaft.
Nr. 3 Verantwortung
Paradoxerweise fühlen sich einige Menschen durch diskriminierungssensible Sprache sogar selbst diskriminiert. Denn beispielsweise nicht zu gendern würde damit ja automatisch eine diskriminierende Haltung gegenüber Frauen und nichtbinären Personen unterstellen. Es würde also suggerieren, dass ein persönlicher Entschluss dahinter stünde.
Das Argument:
“Ich will doch niemandem was Böses. Sollen doch alle machen, was sie wollen.”
Worum es eigentlich geht: Schuld und Vorwürfe
Und genau darum geht es nicht. Individuelle Verantwortliche ausfindig machen zu wollen oder sich persönlich angeklagt zu fühlen, wird dem großen Ganzen nicht gerecht. Nicht einmal Donald Trump hat sich das Patriarchat ausgedacht, auch wenn er das vielleicht gerne hätte. Die Diskussion mit Vendetta-Gedanken zu führen ist also ebenso eine Sackgasse, wie sie als Provokation zur Selbstverteidigung zu sehen. Es geht darum, wie wir zukünftig für mehr Gerechtigkeit sorgen. Um das zu erreichen, müssen alle zusammen anpacken – auch die, die es eigentlich ganz bequem haben.
Das Argument:
“Eine Anpassung an neue gesellschaftliche Gesetzmäßigkeiten im Sinne der gesellschaftlichen Solidarität ist nicht zu viel verlangt – besonders nicht von denen auf der privilegierten Seite.”
Stimmt. In der Theorie. Nur ist es das in der Praxis eben leider häufig doch. Tja, und nun?
Ein guter Zweck für die Werbung?
Ich halte es für absolut kontraproduktiv, von Menschen einzufordern, ihren privaten Sprachgebrauch ad hoc derart strukturell zu restaurieren, wie es beispielsweise das Gendern erfordert. Wenn sie es nun einmal aus Unvermögen oder Unwillen oder anderen Gründen einfach nicht bereit sind zu tun, kann und sollte sie niemand zwingen.
Jeder Mensch, der seine Sprache gerade aktiv diskriminierungssensibel umgestaltet, leistet wichtige, politische Arbeit – und zwar freiwillig. Das einzige Gesetz, was für mich auf zwischenmenschlicher Ebene gilt, ist, dass die Entscheidung, wie sie auch ausfällt, respektiert wird. Man sollte diskutieren, Standpunkte teilen und darauf basierend für sich selbst entscheiden, ob man den Wandel unterstützen möchte.
Anders sehe ich die Chancen der öffentlichen Kommunikation und des Marketings. Denn hier ist es erst einmal viel niedrigschwelliger möglich, die Normalität von diskriminerungssensibler Sprache und die Gewöhnung daran zu fördern. Unternehmen, Institutionen (und natürlich die Politik) sind aufgrund ihrer Reichweite und ihrer Prozesse in viel verträglicherem und effizienterem Maße in der Lage, positiven Einfluss zu nehmen, indem sie gesellschaftsgerecht kommunizieren. Da muss niemand private Gewohnheiten ändern und trotzdem kann viel und können viele erreicht werden. Super, let's do it! Oder?
Werbung also ein Enabler für Sprache, die unsere diverse Gesellschaft endlich gerecht abbildet?
Klingt ja super, aber …
Es gibt keine einheitlichen Regeln
Meine Hoffnung auf eine bessere Zukunft in allen Ehren: Aber ganz so einfach ist es dann auch wieder nicht. Das Problem: Einheitliche Regeln existieren nicht. Und selbst, wenn der Werberat irgendwann ein Regelwerk erlassen würde. Was ist, wenn die Zielgruppe eines Unternehmens oder einer Stiftung sich gerade dadurch auszeichnet, dass sie an traditionellen Sprachkonzepten hängt und dann ein messbarer wirtschaftlicher Schaden entsteht? Oder wenn Texte und Konzepte an Qualität einbüßen, weil es eben doch noch zu ungewohnt und holprig klingt? Das gibt Terz.
Welche zu finden, ist schwer
Ich bin ehrlich: Wenn über einer Liste mit Medien KooperationspartnerInnen steht, verstehe ich das nicht. Da geht es nicht darum, die Gesellschaft im Sinne der Diversität ihrer Individuen abzubilden – sondern um Markenregistereinträge. Gendern nur in Bezug auf den grammatikalischen Artikel ergibt in meinen Augen keinen Sinn. Für manche dient es aber als Vehikel, gegenderte Begriffe an prominenten Stellen in der öffentlichen Wahrnehmung zu normalisieren. Gewöhnung vorantreiben. Fair enough.
Große Probleme und viele kleine Lösungen
Ich glaube, es gibt einen Dämpfer, mit dem man sich abfinden muss. Es wird bei der Umsetzung von Diskrimierungssensibilität immer sehr viel Ausnahmen geben, denn vieles bleibt persönliche Ermessenssache von EntscheidungsträgerInnen und es gibt einfach zu viele sprachliche Einzelfälle – erst recht auf Deutsch – über die man sich den Mund fusselig diskutieren kann.
Und wenn es um Geld geht, wird besagtes Ermessen mit Sicherheit auch immer eher flexibel gehandhabt werden. Begriffe wie Berufsbezeichnungen zu gendern ist da nicht das Problem. Webseiten barrierefrei umgestalten: Schon eher schwieriger, denn das kostet Geld. In der Werbung auf eine vielversprechende, aber nicht inklusive Headline und damit auf bessere Verkaufszahlen und damit auf noch mehr Geld verzichten: unwahrscheinlich.
Meine Mission: Positive Beispiele schaffen
Was lässt sich zusammenfassend sagen? Das Thema ist durchwachsen und der Weg hin zu irgendwelchen Allgemeingültigkeiten ist meiner Meinung nach noch ein sehr weiter. Öffentliche, diskriminierungssensible Kommunikation ist daher momentan – trotz großen, medialen Aufhebens – in der Praxis immer noch ein ziemliches Nischenbedürfnis. Manche trauen sich nicht, einige sind verwirrt und ein großer Teil wartet glaube ich noch ab, ob es sich nicht vielleicht doch einfach um eine Modeerscheinung handelt. Ist ok. Die Debatte hat erst vor ca. 10 Jahren den Mainstream erreicht.
Was man jetzt tun kann? Tief durchatmen würde einigen sicherlich guttun. Und wer nicht warten will: Ausprobieren und damit zeigen, wie es gehen kann – und positive Beispiele schaffen, an die man sich gewöhnen könnte.
Du interessierst Dich für sensitivity reading, diskriminierungssensible Texte oder Texte zu dem Thema für Deine Veröffentlichung? Dann schreib mir eine Mail an hallo@melaniewildt.de
Diskriminierungssensibilität in der Sprache. Wie das schon klingt. Ich kann innerlich die vielen verdrehten Augen, sich wegdrehenden Barhocker und aufgedrehten Buh-Rufe geradezu spüren. Wenn ich jetzt noch Gendern sage, dann fliegen vermutlich die ersten Datentomaten. Mancherorts zumindest. Ja mei. Aufdringlich, elitär, konstruiert, unnatürlich: Nur ein paar Adjektive, die für viele das Problem beschreiben. Aber Moment, was ist das eigentlich genau: das Problem? Ist es eins? Sind es viele? Was macht das Thema eigentlich so hitzig – und welchen positiven Beitrag kann Werbung leisten? Ideen und Gedanken einer Texterin.
Hab ich da “neumodischer Scheiß” gehört? Na, wennschon, dennschon. Deswegen hier die Definition von “diskriminierungssensible Sprache” nach ChatGPT:
Diskriminierungssensible Sprache bezieht sich auf die Verwendung von Wörtern, Ausdrücken und Formulierungen, die darauf abzielen, niemanden aufgrund von Merkmalen wie Geschlecht, Alter, ethnischer Zugehörigkeit, sexueller Orientierung, Religion, Behinderung oder sozialem Status zu diskriminieren oder zu beleidigen. Es geht darum, Sprache bewusst zu wählen, um die Vielfalt und Würde aller Menschen zu respektieren und keine Vorurteile oder Stereotypen zu verstärken. Das Ziel ist es, eine inklusive und respektvolle Kommunikation zu fördern.
Gut. So weit, so klar. Ich glaube, würde man mit einem dieser fusseligen Windmikrofone durch deutsche Einkaufsstraßen laufen und fragen:
Möchten Sie Menschen aufgrund von Merkmalen wie Geschlecht, Alter, ethnischer Zugehörigkeit, sexueller Orientierung, Religion, Behinderung oder sozialem Status diskriminieren oder beleidigen?
Dann würden die meisten mit Nein antworten. Von denen gehe ich aus, denn die, die Ja antworten würden, sind ein anderes Thema.
Was genau sind die Probleme?
Was genau sind dann also die Hürden? In meinen privaten sowie beruflichen Umfeld finden sich sowohl Menschen, die für sich selbst das Projekt angehen und ihre Sprache ändern, als auch solche, die damit wenig Berührungspunkte haben – und auch einige, die es offen ablehnen. Ein kleiner Überblick, was in meinen Augen in der Diskussion darüber gesagt wird – und worum es eigentlich geht.
Nr. 1 Gewohnheit
Viele Sprachgewohnheiten, also zum Beispiel das generische Maskulinum (99 Passantinnen +1 Passant = 100 Passanten) abwertende Diminutive (Verkleinerungsformen) wie Flüchtling – und natürlich “diverse” Rassismen und Sexismen, die ich nicht nennen werde – wurden uns in die Wiege gelegt. Wir, alle, die Bücher, die Politik, die Werbeplakate haben sie immer genutzt. Es war bzw. ist also eine kollektive Wahrheit und für viele nichts, was überhaupt in die Kategorie “kann infrage gestellt werden” fällt.
Es sind gewohnte, aber eben auch ziemlich alte Wahrheiten. Nehmen wir das Thema gendern. Wie wir ja alle wissen, ist die Ungleichberechtigung aller BürgerInnen aufgrund der Geschlechtsidentität eine gesellschaftliche Tradition, die erst in den letzten 100 Jahren wirklich starke Beliebtheitseinbußen machen musste. Sie ist, das dünkt mittlerweile sogar den Hardlinern, in unserer modernen, mobilen, fortschrittlichen Digitalgesellschaft nicht mehr zeitgemäß.
Das Argument:
“Ich bin total für Gleichberechtigung, aber deswegen muss ich doch jetzt nicht anfangen, komische Wörter zu benutzen und wie ein Lexikon zu reden.”
Worum es eigentlich geht: ungewohnt ≠ falsch
Geflüchtete statt Flüchtlinge, PassantInnen statt Passanten, Mensch mit Behinderung statt Behinderter – das klingt alles so … falsch. Es ist aber nicht falsch. Das sind keine schlechteren Begriffe, die beispielsweise phonetisch oder orthografisch den anderen in irgendwas nachstehen. Sie sind nicht einmal schwer auszusprechen. Sie sind schlicht und ergreifend: ungewohnt.
Nr. 2. Motivation
Gewohnheiten ändern: immer anstrengend. Dafür muss man nicht einmal besonders starrsinnig sein, sondern einfach nur versuchen, auf Kohlenhydrate zu verzichten. Aber anders als bei den Kohlenhydraten ist es bei der Aufforderung, die Sprachgewohnheiten zu ändern, etwas komplizierter. Denn, wozu?
Das Argument:
“Davon kriegen Frauen auch keine bessere Bezahlung und davon fällt auch nicht jedes Mal irgendwo auf der Welt einem Nazi wie durch Zauberhand die Baseballkeule auf den Fuß.”
Worum es eigentlich geht: scheinbare Unwirksamkeit
Individuelle Gewohnheiten hinterfragen, um auf eine gesamtgesellschaftliche Entwicklung zu reagieren, wirkt für viele unverhältnismäßig. Denn es kostet Kraft und bietet in der Regel erst einmal keinen unmittelbaren, sichtbaren Mehrwert. Da bleibt nur das gute alte Studienargument. Am eindrücklichsten finde ich die, in der kleine Mädchen erst dann angaben, Automechanikerin werden zu wollen, nachdem man ihnen den Beruf in gegenderter Form zur Auswahl gestellt hatte. Kann man selbst ausprobieren: 100 Automechaniker und 100 AutomechanikerInnen erzeugen unterschiedliche Bilder im Kopf – und damit auch unterschiedliche Abbilder der Gesellschaft.
Nr. 3 Verantwortung
Paradoxerweise fühlen sich einige Menschen durch diskriminierungssensible Sprache sogar selbst diskriminiert. Denn beispielsweise nicht zu gendern würde damit ja automatisch eine diskriminierende Haltung gegenüber Frauen und nichtbinären Personen unterstellen. Es würde also suggerieren, dass ein persönlicher Entschluss dahinter stünde.
Das Argument:
“Ich will doch niemandem was Böses. Sollen doch alle machen, was sie wollen.”
Worum es eigentlich geht: Schuld und Vorwürfe
Und genau darum geht es nicht. Individuelle Verantwortliche ausfindig machen zu wollen oder sich persönlich angeklagt zu fühlen, wird dem großen Ganzen nicht gerecht. Nicht einmal Donald Trump hat sich das Patriarchat ausgedacht, auch wenn er das vielleicht gerne hätte. Die Diskussion mit Vendetta-Gedanken zu führen ist also ebenso eine Sackgasse, wie sie als Provokation zur Selbstverteidigung zu sehen. Es geht darum, wie wir zukünftig für mehr Gerechtigkeit sorgen. Um das zu erreichen, müssen alle zusammen anpacken – auch die, die es eigentlich ganz bequem haben.
Das Argument:
“Eine Anpassung an neue gesellschaftliche Gesetzmäßigkeiten im Sinne der gesellschaftlichen Solidarität ist nicht zu viel verlangt – besonders nicht von denen auf der privilegierten Seite.”
Stimmt. In der Theorie. Nur ist es das in der Praxis eben leider häufig doch. Tja, und nun?
Ein guter Zweck für die Werbung?
Ich halte es für absolut kontraproduktiv, von Menschen einzufordern, ihren privaten Sprachgebrauch ad hoc derart strukturell zu restaurieren, wie es beispielsweise das Gendern erfordert. Wenn sie es nun einmal aus Unvermögen oder Unwillen oder anderen Gründen einfach nicht bereit sind zu tun, kann und sollte sie niemand zwingen.
Jeder Mensch, der seine Sprache gerade aktiv diskriminierungssensibel umgestaltet, leistet wichtige, politische Arbeit – und zwar freiwillig. Das einzige Gesetz, was für mich auf zwischenmenschlicher Ebene gilt, ist, dass die Entscheidung, wie sie auch ausfällt, respektiert wird. Man sollte diskutieren, Standpunkte teilen und darauf basierend für sich selbst entscheiden, ob man den Wandel unterstützen möchte.
Anders sehe ich die Chancen der öffentlichen Kommunikation und des Marketings. Denn hier ist es erst einmal viel niedrigschwelliger möglich, die Normalität von diskriminerungssensibler Sprache und die Gewöhnung daran zu fördern. Unternehmen, Institutionen (und natürlich die Politik) sind aufgrund ihrer Reichweite und ihrer Prozesse in viel verträglicherem und effizienterem Maße in der Lage, positiven Einfluss zu nehmen, indem sie gesellschaftsgerecht kommunizieren. Da muss niemand private Gewohnheiten ändern und trotzdem kann viel und können viele erreicht werden. Super, let's do it! Oder?
Werbung also ein Enabler für Sprache, die unsere diverse Gesellschaft endlich gerecht abbildet?
Klingt ja super, aber …
Es gibt keine einheitlichen Regeln
Meine Hoffnung auf eine bessere Zukunft in allen Ehren: Aber ganz so einfach ist es dann auch wieder nicht. Das Problem: Einheitliche Regeln existieren nicht. Und selbst, wenn der Werberat irgendwann ein Regelwerk erlassen würde. Was ist, wenn die Zielgruppe eines Unternehmens oder einer Stiftung sich gerade dadurch auszeichnet, dass sie an traditionellen Sprachkonzepten hängt und dann ein messbarer wirtschaftlicher Schaden entsteht? Oder wenn Texte und Konzepte an Qualität einbüßen, weil es eben doch noch zu ungewohnt und holprig klingt? Das gibt Terz.
Welche zu finden, ist schwer
Ich bin ehrlich: Wenn über einer Liste mit Medien KooperationspartnerInnen steht, verstehe ich das nicht. Da geht es nicht darum, die Gesellschaft im Sinne der Diversität ihrer Individuen abzubilden – sondern um Markenregistereinträge. Gendern nur in Bezug auf den grammatikalischen Artikel ergibt in meinen Augen keinen Sinn. Für manche dient es aber als Vehikel, gegenderte Begriffe an prominenten Stellen in der öffentlichen Wahrnehmung zu normalisieren. Gewöhnung vorantreiben. Fair enough.
Große Probleme und viele kleine Lösungen
Ich glaube, es gibt einen Dämpfer, mit dem man sich abfinden muss. Es wird bei der Umsetzung von Diskrimierungssensibilität immer sehr viel Ausnahmen geben, denn vieles bleibt persönliche Ermessenssache von EntscheidungsträgerInnen und es gibt einfach zu viele sprachliche Einzelfälle – erst recht auf Deutsch – über die man sich den Mund fusselig diskutieren kann.
Und wenn es um Geld geht, wird besagtes Ermessen mit Sicherheit auch immer eher flexibel gehandhabt werden. Begriffe wie Berufsbezeichnungen zu gendern ist da nicht das Problem. Webseiten barrierefrei umgestalten: Schon eher schwieriger, denn das kostet Geld. In der Werbung auf eine vielversprechende, aber nicht inklusive Headline und damit auf bessere Verkaufszahlen und damit auf noch mehr Geld verzichten: unwahrscheinlich.
Meine Mission: Positive Beispiele schaffen
Was lässt sich zusammenfassend sagen? Das Thema ist durchwachsen und der Weg hin zu irgendwelchen Allgemeingültigkeiten ist meiner Meinung nach noch ein sehr weiter. Öffentliche, diskriminierungssensible Kommunikation ist daher momentan – trotz großen, medialen Aufhebens – in der Praxis immer noch ein ziemliches Nischenbedürfnis. Manche trauen sich nicht, einige sind verwirrt und ein großer Teil wartet glaube ich noch ab, ob es sich nicht vielleicht doch einfach um eine Modeerscheinung handelt. Ist ok. Die Debatte hat erst vor ca. 10 Jahren den Mainstream erreicht.
Was man jetzt tun kann? Tief durchatmen würde einigen sicherlich guttun. Und wer nicht warten will: Ausprobieren und damit zeigen, wie es gehen kann – und positive Beispiele schaffen, an die man sich gewöhnen könnte.
Du interessierst Dich für sensitivity reading, diskriminierungssensible Texte oder Texte zu dem Thema für Deine Veröffentlichung? Dann schreib mir eine Mail an hallo@melaniewildt.de
Melanie Wildt / Freie Texterin und Autorin
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