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  • AutorenbildMelanie Wildt

Copywriter-Shapewear


Ich würde heute gerne mit Euch über Scheiße reden. Und unter den gleich enttäuschten Gesichtern der passionierten Fäkalhumoristen unter Euch mache ich auch gleich den leichtverdaulichen Anfang dieses Beitrags – nichts gegen Pipi-Kaka-Witze – aber das meine ich in diesem Fall ausnahmsweise mal nicht.


Es geht um Social Media, genau gesagt: Werbung auf Social Media. Noch genauer gesagt: Bekackte Geschäftsmodelle, deren Beschissenheit, die einfach nur als otherworldy beschrieben werden kann – denen ihre Werbung auf Social Media. Ich bin übrigens noch nicht facebook-alt, sondern eher so Instagram-alt, aber definitiv mehr nicht TikTok-alt – nur als Referenzwert für alle, die sich fragen, woher ich meine Quellen beziehe.


Co-Working Spezi und Digitalnomalos


Ich habe mir gerade einen lifechanging und unbelievably trotzdem kostenlosen Onlinekurs angeguckt, nachdem ein Troll meines engeren Bekanntenkreises mir diesen freundlicherweise zukommen ließ. Da ist so ein Typ, der nicht nur behauptet, er hätte automatisierbare und skalierbare Methoden entwickelt, mit denen es fast schon zum Problem wird, die monatlichen Einnahmen als freiberuflicher Copywriter unter 10.000€ zu halten (auch wegen passiven Einkommens aus Provisionsdeals, da wird man nur so mit Geld zugeschissen sag ich Euch, ein großes Problem in der Branche).




Nee nee, der hat sowieso auch das deutschsprachige Copywriting eigentlich erst erfunden! Das ist natürlich ein Ding, wenn man bedenkt, dass ich 2015 auf einer Texterschule war, und uns keiner gesagt hat, das so ein Typ im Hawaiihemd den Job erst noch erfinden wird. Ich habe mir aufgrund meiner selbstverschuldeten Unmündigkeit zwar nur den kostenlosen Onlinekurs zum Frühstück reingezogen (quod Erhard demonstrandum meine Inkompetenz), deswegen weiß ich natürlich nicht, welche cash-exploding Methoden führender Copywriter-Koryphäen aus den USA er da für den deutsche Markt adaptiert hat, aber da ich selbst seit 8 Jahren als Copywriterin arbeite und seit 3 Jahren freiberuflich, muss ich ganz klar sagen:


Moment mal Freundchen, so geht’s aber nicht ...


Deutsche Copywriter seien, anders als zum beispiel Designer, diese bettelarmen Würstchen, deren Konkurrenz aus Pakistan oder Indien für Dumpingpreise genau die exakt gleiche Arbeit machen können, ein auf unabsehbare Zeit unersetzliches Asset für jedes Unternehmen. Denn die können ja Deutsch, und Pakistanis und Inder können ja nur Pakistanisch und Indisch, aber alle können Photoshop. Da spricht der visionäre Globetrotter. CHAT GTP kann übrigens 95 Sprachen, aber dass das ein relevantes Problem sein könnte?





Er sagt auch weiter, dass man zum Copywriting gar nicht gut oder kreativ schreiben können muss, man muss es nur gerne tun. Oder auch nicht mal gern, einfach nur tun. Toupé, wenn man sich mal so umliest, kann man dem schlecht wiedersprechen. Aber ist das jetzt deswegen unterstützenswert? Achso, nee, vergessen, geht ja nicht um die Qualität irgendwelcher Inhalte: Es geht ums Geld scheffeln im Schlaf an der Copa Cabana. Duh.


Das Problem, auf dessen Trittbrett diese “akademische” Deus ex machina notdürftig zusammenspaxt steht, ist aber nicht nur dubiose finanzielle Erfolgsversprechen oder die 16.000€ Uhr, die sich der Pferdeschwanzmann aus dem Video, “ihr werdet lachen”, in Dubai gekauft hat – einfach um sich mal für seinen kranken Erfolg als Copywriter-Tycoon zu feiern. Das Problem ist die Persona (kannste googeln, is’n Marketingtool), nennen wir Sie mal Mellony Welt, 35 Jahre alt, freiberuflich, reist gerne, ledig, keine Kinder, hätte gerne rechtzeitig in Krypto investiert, wusste damals aber noch gar nicht, was Krypto ist, hat was gegen das Establishment und den “Turbokapitalismus” und will total sustainable mit ihrer Profilneurose über den Globus pimmeln.


Die ist nämlich ein ganz essenzieller Teil der Zielgruppe solcher Coaching-Startups von eislutschenden und vintagepullitragenden New Work Atzen, die mit ihren MacBooks auf Bali auf Elefanten sitzen und konstaniert ihr passives Einkommen checken. Und das ist hartes Overpromising für den Digital-Nomad-Lifestyle.


Ich hab’s selbst gemacht. Immerhin nicht Bali, aber anderswo. Ich nehme also alle meine eigenen Vorwürfe an und kann euch sagen: Erstens ist es scheiße fürs Klima, wenn jeder Werbefutzi, der was auf sich halten wollen will, jetzt mit dem Miet-T4 durch Portugal zoomen muss #vanlife. Zweitens buttert es voll in den ekligen Lifestyle-Ästhetik-Mythos rein, dass man sein gesamtes Leben total instragramable, unordinär und weltbürgerlich gestalten muss #fml. Und es ist ein Trend, dem mehr Leute folgen, als es eigentlich wollen. Weil sie darin fälschlicherweise eine plötzlich niedirgschwellige Ausflucht aus den Work-Life-Irrtümern unserer Gesellschaft sehen #offeneBeziehung. Ist nicht so. Es ist die gleiche Scheiße, nur woanders.


Erdbeerhaut und Muffintops: Guten Appetit


Ich wog 94, jetzt bin ich 52.


Muschi, Pflaume oder Ritze ganz egal, IPL Pro macht sie kahl.


Hängende Brüste reparieren.


Shapewear, die auch dünne Menschen tragen können.


Ob das jetzt irgendein rolextragender Academy-Absolvent oder eine AI auf La Gomera verfasst hat: Dieses Bremsspur an Instagram Headlines, die mein taktloser Logarhithmus mir kredenzt hat, spiegelt ganz gut wieder, womit wir es beim Copywriting immer mehr zu tun haben.

Wenn man sich die Zahlen dieses Artikels aus dem Jahr 2018 aus einer Fachzeitschrift für Marketing, Werbung und Medien gibt, dann ist die Frage, die die (ok, wir) Werber stellen sollten meiner Meinung nach nicht, wie man die kommerzielle “Aufmerksamkeitsökonomie” (🤮) umgestalten kann, damit eine digitale Werbebotschaft 0,4 statt 0,3 Sekunden lang betrachtet wird. Mein Vorschlag lautet: Einfach ganz weg dann, oder?


Werbung verbieten, hart reglementieren und prüfen. Die relevanten Fragen sind: “Muss das sein?” “Wer braucht das?” und vielleicht noch “Wo ist der Deinhardt?”. Copywriter sollen meinetwegen gerne 10.000€ im Monat verdienen können, ich würd mich freiwillig melden, müsste aber wahrscheinlich erst noch einmal irgendeine Academy absolvieren. Remote hoffe ich.


Aber so, wie sich das hier entwickelt?












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